Wahnsinn, aber nackt.

(Sederunt Principes, Steamboat Switzerland Extended)
Man kann dem Steamboat Switzerland nicht vorwerfen, dass es sich die Sache zu leicht macht. Ja, es sucht sogar mit Akribie neue Herausforderungen, von denen Blum, Pliakas & Niggli im Vorhinein nie wissen können, ob sie zu bewältigen sind. Das war in der Vergangenheit nicht anders als jetzt, da sich das Trio, erweitert um je zwei Saxofone, Klarinetten, Trompeten und Posaunen, auf das glatte Parkett waghalsiger Partituren begibt.

Zu hören sind Stücke von einst (Perotinus Magnus) und jetzt (Hermann Meier [nicht der mit a]), die der Komponist, Arrangeur, Fagottist und Verleger Marc Kilchenmann rund um sein Stück egregoros gruppiert. Er wurde auch mit der Gestaltung dieses Konzepts, dessen Aufführung in Chur hier dokumentiert ist, beauftragt. Höllisch komplizierte Kompositionen und Arrangements treffen auf unwiderstehliche Straight-ahead-Passagen, die den Schaufeldampfer Schweiz seit jeher auszeichneten, einzigartig machten. Lucas Niggli trommelt sich stellenweise mit Furor durchs Fitnessstudio, Dominik Blum orgelt wie der Gottseibeiuns bzw. wie ein sechshändiger Keith Emerson, Marino Pliakas’ Bass scheint von einem ganzen Arsenal an Motoren, Hilfs- und Zusatzmotoren angetrieben. Dazwischen und danach lassen plötzliche Brüche das bahnbrechende Geschehen abreißen, es geht nahtlos über in sperrige Kammermusiken und allerlei altertümliche, höfische Töne, bestehend aus Gebläse aller Art, die ihrerseits wieder schrittweise ins Jazzrockige abdriften. Kilchenmann verlangt sämtlichen Mitwirkenden so ziemlich alles ab, was Menschen, die nur partiell maschinell veranlagt sind, abverlangt werden kann. Herauskommt eine haarsträubende, überwältigende Kollektivmusik. Wahnsinn, aber nackt. (felix)

Felix / Freistil (A)

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