Konventionell ist nur die Notation

Steamboat Switzerland

Die Zürcher Band Steamboat Switzerland fasziniert mit spannungsvoller Musik ohne Grenzen Längst ist das Zürcher Trio Steamboat Switzerland eine internationale Institution zwischen Rock, Improvisation, neuer Musik. Dank Radikalität und Komplexität ist es aber so frisch wie unfassbar geblieben.

Markus Ganz | NZZ

Seit fast 18 Jahren schon gibt es Steamboat Switzerland. Doch Dominik Blum, Marino Pliakas und Lucas Niggli sprechen im Interview mit einem Enthusiasmus über das gemeinsame Musizieren, als gehe es um ein neues Projekt. Sie sind aber auch sehr diszipliniert, hören den Fragen aufmerksam zu, fallen einander nicht ins Wort und formulieren sorgfältig. Diese Eigenschaften findet man auch an ihren Konzerten, wo sich überschäumende Spielfreude mit atemberaubender Präzision paart.

Stilistisch kaum fassbar
Charakteristisch für Steamboat Switzerland ist auch, dass die Gruppe stilistisch kaum fassbar ist. Vor kurzem hat sie das Album «Zeitschrei» veröffentlicht, das in der Rockszene einiges Aufsehen erregt hat. Am Lucerne Festival wirkte sie soeben an der Uraufführung der Oper «Anschlag» von Michael Wertmüller und Lukas Bärfuss mit. Im November wird sie an den Tagen für Neue Musik in Zürich ein speziell für sie geschriebenes Stück des amerikanischen Komponisten David Dramm vorstellen und in Bern ein Klubprogramm präsentieren. Die drei Musiker gründeten Steamboat Switzerland 1996, weil sie ein Vehikel für ihre Vielseitigkeit suchten. Dominik Blum hatte einen Konzertabschluss für Klavier und Marino Pliakas einen für klassische Gitarre in der Tasche, doch verspürten sie ein gewisses Vakuum. «Der Grunge brachte mich, der sich damals ausschliesslich der klassischen Musik widmete, zurück zum Rock’n’Roll», erklärt Dominik Blum. «Ich merkte, dass mir etwas fehlte in der neuen Musik: die Körperlichkeit.» Die beiden Bandkollegen stimmen auch zu, als Dominik Blum von der Faszination für improvisierte Musik erzählt, die sich bei ihnen fast gleichzeitig am Taktlos- Festival entwickelt habe.

Dem Schlagzeuger Lucas Niggli, der bei Pierre Favre studiert hat, fehlte zudem «Nahrung für mein Instrument», eine Herausforderung. Es habe damals kaum notierte Musik für Schlagzeug im Bereich neuer Musik gegeben. Erst Mitte der 1990er Jahre habe eine neue Generation von Komponisten begonnen, solche Stücke zu schreiben. Und damit war die Voraussetzung für eines der Hauptmerkmale von Steamboat Switzerland erfüllt: Seither hat sich die Gruppe auf die Interpretation von Fremdkompositionen spezialisiert und durchsetzt diese dann immer wieder mit improvisierten Teilen.

Improvisation, Komposition
Die ersten Sessions seien allerdings noch komplett improvisiert gewesen, erzählt Marino Pliakas. Vor allem durch das prägende Zusammenspiel mit Stephan Wittwer habe man aber gemerkt, was noch reizvoller sei – «aus freiem Spiel in komponierte Passagen zu wechseln und diese wiederum als Rampe zu benutzen, um ins Unbekannte loszulegen ». Die dadurch entstehende Spannung ist auch für Lucas Niggli zentral. Er betont aber, dass sich diese entgegengesetzten Welten gegenseitig immer wieder befruchteten. «Wenn man Kompositionen in der uns eigenen Präzision probt, entwickelt man eine Art des Aufeinanderhörens und des Interplays, die auch die Qualität des Improvisierens erhöht.»

Dies führt vor allem live zu atemberaubenden Hörabenteuern, bei denen sich eine Frage aufdrängt: Warum schreiben die drei hochmusikalischen Mitglieder von Steamboat Switzerland die komponierten Teile nicht selbst? Lucas Niggli antwortet schnell und bestimmt: «Wir können das Niveau der Komponisten, die teilweise speziell für uns Stücke schreiben, selber schlicht nicht erreichen.» Es sei letztlich eine Frage der Spezialisierung und der Professionalität, meint Dominik Blum.  Von grosser Bedeutung ist der enge Bezug zu den Komponisten. Michael Wertmüller etwa, dem die Band bereits viermal einen Kompositionsauftrag erteilt hat, ist auch Schlagzeuger von Peter Brötzmanns Formation Full Blast, in der auch Marino Pliakas mitspielt. Er kennt die spielerischen Fähigkeiten der drei Musiker, die alle auch in weiteren Formationen wirken, sehr gut und kann deshalb massgeschneiderte Kompositionen schaffen. Diese sind streng klassisch und akribisch notiert, wie ein Blick auf die Notenblätter zeigt. Und sie reizen in ihrer – vor allem rhythmischen – Komplexität die Grenzen des Spielbaren aus, wie Marino Pliakas bestätigt. «Es gibt Passagen, die wir gar nicht akkurat spielen können. Michael Wertmüller rechnet damit, dass wir sie mit improvisatorischem Geist so spielen, dass wir dem Notenbild möglichst nahe kommen.»

Es gibt an den Konzerten allerdings stets eine klare Trennung von Komposition und freier Improvisation, da diese in kombinierbare Module aufgeteilt sind. Da dieses Modulkonzept offen gehalten ist, wird gemäss Lucas Niggli auch die Routine weitgehend verhindert. «Fast jeder unserer Auftritte ist anders aufgebaut und deshalb auch für uns weitgehend neu. Gleichzeitig haben unsere Konzerte aber auch in hohem Masse etwas Routiniertes, weil diese Musik nur dank ausgiebigem Proben spielbar ist.»

Nicht immer klar war die Instrumentierung der Gruppe. In der Anfangszeit spielten die Musiker auch Kontrabass, Gitarre und Klavier, seit langem aber ist die Beschränkung auf Hammondorgel, E-Bass und Schlagzeug die Regel. Der Grund dafür ist gemäss Dominik Blum, dass sich diese Instrumentierung als die dynamischste erwiesen habe. Für alle drei Musiker sei es so möglich, das Spektrum vom leisesten Spiel bis zum brachialsten Ausbruch auszunützen.

Leicht überfordert
Wegen des anspruchsvollen Musikmaterials seien sie an den Konzerten, die meistens rund eine Stunde ohne Pause dauerten, eigentlich konstant leicht überfordert, erklärt Dominik Blum. «Durch die abrupten Wechsel, die grosse Dynamik und minimale Entwicklungen über lange Strecken gelangen wir in einen rauschhaften Sog, in den wir auch das Publikum ziehen möchten.» Dies hat denn laut Niggli auch zur Folge, dass die Reaktionen der Zuhörerinnen und Zuhörer oft entweder klar ablehnend oder sehr euphorisch sind.

Steamboat Switzerland: Zeitschrei – by Michael Wertmüller
(Trost Records).

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